Man spricht Deutsch (Sie sollen hier Deutsch sprechen, 3-Channel Video Installation & 5min Audio Loop, 2023)
Politik und Gesellschaft haben über Jahrzehnte aktiv verhindert, dass die Kinder von Migrant*innen ihre Muttersprache erlernen.„Bei uns spricht man Deutsch, auch zu Hause!“ war der Leitsatz, den Eltern bereits im Kindergarten streng vermittelt wurde. Damit wurde klar impliziert: Wenn die Kinder eine andere Sprache, ihre Muttersprache und damit Kultur erlernen, dann schadet das ihrem Leben in Deutschland – ihrer Schulleistung, ihrer Integration, ihrer Zukunft.
Sei es das angestrebte Gesetz der CSU, dass man daheim nur noch Deutsch reden dürfte oder das gelebte, wenn auch nirgends aufgeschriebene Gesetz, dass auf dem Schulhof „Türkisch-Verbot“ herrschte – andere Sprachen als Deutsch waren unerwünscht und schadhaft. Aber nur bestimmte Sprachen. Die gesellschaftliche Ächtung galt hauptsächlich den Sprachen der Zuwandererfamilien: Türkisch, Arabisch, Albanisch, Italienisch, Spanisch, Farsi, Punjabi – aber nicht für Englisch und Französisch, denn Sprache ist auch immer Politik. Rassismus ist in allen Teilen des gesellschaftlichen Lebens verwurzelt.
In diesem Fall zeigt er sich als Linguizismus: die gezielte Geringschätzung von Minderheitensprachen. Als Edmund Stoiber 2006 beim politischen Aschermittwoch rief: „Wer randaliert, fliegt raus, und wer kein Deutsch kann, kommt gar nicht erst rein.“ meinte er bestimmt nicht die Dänen, US-Amerikaner und Holländer unter uns. Mittlerweile weiß man, dass es uns nicht geschadet hätte, unsere Muttersprachen als Kinder zu lernen, ganz im Gegenteil. Und es ist etwas, das wir nie aufholen werden können.
Dem sind sich auch konservative und sogar rechte Parteien bewusst. So forderte zuletzt 2015 die CSU unter Horst Seehofer, dass ein Gesetz dafür sorgen sollte, dass Migrant*innen ab sofort verpflichtet werden, Deutsch zu sprechen – sogar Zuhause. Und auch die AFD forderte 2018, dass Deutsch als Sprache im Grundgesetz verankert werden sollte. Das Recht auf die eigene Muttersprache (UN-Konvention für Kinderrechte, Artikel 29, 1992) wird somit immer wieder angefeindet und gefährdet.
„Man spricht Deutsch“ versteht sich als autobiografisches Kunstprojekt von Sandra Singh und Francesco Giordano, welches sich mit Alltagsrassismus, deutscher Migrationsgeschichte und der Medienlandschaft der 00er Jahre auseinandersetzt. Ziel ist es, durch Ausstellungen und verschiedene Partizipationsprojekte einen öffentlichen Raum für Begegnungen und Austausch für Menschen mit Migrationshintergrund zu schaffen. Die Kunstwerke sollen dabei aktiv einen Dialog erzeugen und fördern, Workshops sollen zum einen die deutsche Migrationsgeschichte festhalten und zum anderen einen Ort der Verarbeitung und Reflexion bieten. Die erste Projektpräsentation fand im Dezember 2023 im Florida / Lothringer 13 in München statt.
Wir haben einen Raum geschaffen, in dem die postmigrantische Perspektive, Partizipation und ihre Zugänglichkeit im Vordergrund standen und damit neue Verbindungen zwischen Kunst und Migrationserfahrungen geschaffen. Künstlerische Räume in Deutschland sind weiterhin akademische, privilegierte und mehrheitlich weiße Orte. Durch Konzepttexte in einfacher Sprache sowie Mitmach-Aktionen und zugängliche Kunstformen wollen wir Hemmschwellen abbauen und Kunst für alle Bevölkerungsgruppen erlebbar und sichtbar machen.
Wir möchten einen Aspekt der deutschen Migrationsgeschichte beleuchten, der bis heute weitreichende Folgen hat und viele Menschen in Deutschland betrifft. Die sprachliche Vielfalt wird heutzutage geschätzt, vielen ist dies jedoch vorenthalten worden. Das Recht auf Muttersprache und das Recht auf kulturelle Vielfalt ist auch heute noch etwas, wofür sich Migrant*innen verteidigen müssen, gesellschaftlich sowie politisch.
Gefördert von "Verbindungslinien 2023" des BBK - Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler München und Oberbayern e.V. // Event und Ausstellungsansichten ©Stella Traub und ©Francesco Giordano
© sandra singh, 2024